Verhörer, Verleser, Versprecher
Haben Sie sich letzthin verhört oder aus Versehen etwas Anderes gelesen als das, was wirklich auf der Verbotstafel, im Kochrezept bzw. auf der Geburtstagseinladung stand? Beides geschieht häufig und weist in seiner Alltäglichkeit nichts Spektakuläres auf. Solange man nicht von einem Richter «verhört» oder von den Kolleginnen «verlesen» (im Sinn von aussortiert [1] ) wird. In der Regel führt ein «Verhörer» oder «Ver-leser» zu harmlosen Irritationen. In den beschriebenen Fällen zu einer Busse, versalzenen Makkaroni oder dem Verpassen einer tollen Fete. Kurzum: Die Ausgangslage ist offen, die Entstehung amüsanter als die Auflösung und die Fortsetzung garantiert – Stichwort «Manipulation».
Die dritten Stolperer, die «Versprecher» , verursachen entweder schwierige Wörter (sogenannte «Zungenbrecher»), leichte Sprachfehler oder plötzlicher Schluckauf. Darüber hinaus spielt uns das Unterbewusstsein oft einen Streich. Verrät woran wir eigentlich denken, was wir lieber täten etc. Wir können dann auch nicht unbedingt damit rechnen, dass just in diesem Augenblick ein Güterzug vorbeidonnert, das Gegenüber unkonzentriert, falsch oder gar nicht hinhört.
Unfreiwillige Komik
Politiker, Kirchenmänner, Schriftstellerinnen – Vortragende überhaupt – haben sich daran gewöhnt, missverstanden zu werden. Hinzu kommen das Verhörpotenzial bei Dialekten oder Fremdsprachen sowie schlichte
«Verschreiber». Keine Schere im Kopf hatte derjenige Mediensprecher, welcher verbreitete, die Zentrale seines Konzerns werde «zensiert» statt «zentralisiert». Völlig aufgeschmissen war jener Ehemann, welcher unbesehen den von seiner Gattin verfassten Einkaufszettel einpackte. Nirgendwo gab es «stalinistische Kräuter». Die zu Rate gezogene Verkäuferin empfahl ihm italienische … Alternative: die Zutaten zu Borschtsch, der russischen Suppe.
Knopf im Ohr?
Zuweilen verfestigen sich Hörfehler (Coiffeur-Jass [2] ) oder erzeugen neue Wortschöpfungen (Bollywood, Wellness, Bleisure), manchmal sogar seltsame Zwiegespräche. Ich erinnere mich an die Episode an einer Tramhaltestelle, frühmorgens um halb sieben. Ein Obdachloser bettelt einen Geschäftsmann an: «Häsch mer nöd en Stutz?» Dieser antwortet distinguiert: «Um die Zit, en Kafi Lutz [3]?!» Pech gehabt, vielleicht hätte ihm der Aushang gegenüber («Liederabend mit Alkoholbeglei-tung») eher zugesagt; es sei, es wäre doch das Akkordeon zum Zug gekommen.
Liedtexte, speziell alteingesessene, werden öfter frei interpretiert. Dennoch verleitet es zum Schmunzeln, wenn jemand inbrünstig «Holger, Knabe im lockigen Haar» singt oder «Stille Nacht, heiligt kracht’s». Wetten, er denkt an die nachfolgende Bescherung? Wohl bekomm’s, unterm Tannenbaum!
Quellen: Hacke Axel & Sowa Michael: Der weisse Neger Wumbaba. Kleines Handbuch des Verhörens. Antje Kunstmann Verlag, München 2004 sowie http://www.wildbits.de/category/verlesen/
[1]schweizerischer Ausdruck
[2] ursprünglich auf das französische «Qoui faire» (was tun?)zurückgehend
[3]Kaffee mit Obstbrandwein, meist Birnenschnaps