Vom Schöngeist zur Produktionsleiterin – Notizen einer Lektorin
«Wie bitte? Jahre lang habe ich an meinem Manuskript gearbeitet und nun wollen Sie es einer Lektorin geben?» (Die meisten sind Frauen!) «Auf dass sie es total umschreibt, alles ändert?» Diese Befürchtung äussern manche Autor/innen. Nicht zu Unrecht, insbesondere im literarischen Bereich, wo Vieles eine Frage der Auslegung ist, individuelle Vorlieben oder den persönlichen Stil tangiert.
Selbst im Sachbuchsektor sind Lektorinnen nicht immer willkommen. Es sei, es gelingt ihnen, die Schreibenden zu motivieren, ihnen zu einem ungeahnten Effort zu verhelfen, gemeinsam ein weiteres Projekt zu initiieren. Eines, das insbesondere den Verlag überzeugt!
Multitasking
Leider verhält es sich – durch Zeitdruck sowie veränderte Marktbedingungen – längst nicht mehr so, dass sich das Lektorat Zeit nehmen kann, jemanden auszuwählen, zu fördern, zu begleiten, sprich den allfälligen Rohdiamanten zu schleifen. Mittlerweile zahlt rund die Hälfte der Verfasser/innen für die Herausgabe ihrer Bücher, die Qualität nimmt ab, auf Kosten von Stringenz, Präzision oder Form. Das Thema wäre spannend, aber der rote Faden fehlt. Die vermeintliche Expertin entpuppte sich als nichtwissend, der Insider als Nobody. Gleichzeitig mutiert der Autor zum Kunden, erhebt Ansprüche und Forderungen. Die Lektorin hängt zwischen Stuhl und Bank, der definitive Entscheid liegt beim Verlag.
Dafür darf die mit dem Lektorat Betraute – zusätzlich zu den inhaltlichen Korrekturen – Werbetexte entwerfen, Buchumschläge prüfen sowie die Druckvorstufen vorbereiten. Die entsprechende Software ist selber zu bezahlen, zu erlernen und anzuwenden. Nebenbei sollte man noch die Pressearbeit aufgleisen, eine Vernissage organisieren, erste Verkaufsmassnahmen einleiten etc. Zum ursprünglichen Job gesellen sich mindestens drei: Psychologin, Marketingberaterin, Eventmanagerin.
Licht am Horizont
Nicht alles ist ein Graus! Hin und wieder gibt es sie, diese vielgerühmten Sternstunden. Dann, wenn man ein perfektes Werk in Händen hält. Einen Text, dessen Lektüre reines Vergnügen bereitet. Dessen Redigieren für manchen Ärger, ja Unbill entschädigt. Am Schluss profitiert sogar das eigene Sprachgefühl.
Nun, wo ich nicht mehr in diesem Metier tätig bin, vermisse ich es zuweilen. Nichts ist erfüllender, als das Glück ob des gelungenen Erstlings. Zu sehen, wie eine Autorin das Cover bestaunt, über den Buchrücken fährt, die Seiten durchblättert. Denken Sie daran, beim nächsten lausigen Skript, das vor Ihnen liegt!